Montag, 3. Mai 2010

Mio Myo

Zerrationalisierte Welt schau mich an - Dein Mangel an Leben ist meine Wiedergeburt.


Das Schönste, was wir erleben können ist das Mysteriöse. Es ist die Quelle jeder wirklichen Kunst und Wissenschaft.
Albert Einstein, 1930


In Island wissen es die Menschen schon lange; Geister gibt es wirklich, sie sind Teil des Lebens und müssen berücksichtigt werden. Straßenzüge werden daher so gezogen, dass sie nicht die Lebenswelten von Elfen und Trollen, durchkreuzen. Auch in China glauben die meisten an Geister. Leider handelt es sich dort wohl um unleidliche Gesellen, die es sich vom Leib zu halten gilt.

In vielen weiteren Ländern glauben die EinwohnerInnen an Feen, Geister und andere magische Wesen. Sie sind fester Bestandteil von Tradition und Alltag. Hierzulande scheint sich Spiritualität und Mystik zunehmend zu einem Modetrend zu entwickeln. Woher kommt diese neue Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen?

Manche beschäftigen sich aus Langeweile, manche aus rationalem Überdruss und andere aus Verdrängung von zu viel reeller globalisierter Grausamkeit mit dem Geheimnisvollen, Irrationalen. Sie suchen im Göttlichen, in der Natur und im Kosmos nach etwas Magischem, das sie verzaubert und trotzdem in ihrem oft sonst eintönigen Alltag Sinn stiftet. Aus Mangel an persönlicher Nähe und sozialen Kontakten sucht die moderne Persona in Spiritualität und Religion das, was allgemein unter dem Begriff Liebe bekannt ist. Urbane, nüchterne Wesen ersehnen den irrationalen Zauber.

Dieser Trend schlägt sich auch in Kunst und Unterhaltung nieder. LiteratInnen, MusikerInnen und FilmemacherInnen widmen sich wieder mehr der Magie und dem Unergründlichen im Leben und auch der Tod wird immer wieder neu aufgelegt. Fantasyfilme sind beliebter denn je. Es boomen Genremixturen, in denen magische, geisterhafte, erträumte Elemente teils animiert, teils in Traumsequenzen mit der Realität verschmelzen. In Computerspielen schlüpfen Anhänger von Parallelwelten in die Gestalt von Magiern, Hexen, Elfen und anderen Fabelwesen um dem nüchternen Alltag zu entfliehen. Menschen gehen in Zaubershows um sich bewusst und mit einer aufgeregten Fasziniertheit täuschen zu lassen.

Es gibt Tarotveranstaltungen in Locations, die eher für ihre Konzerte bekannt sind und statt den Schulmediziner zu konsultieren, braut sich der neue Mensch lieber einen Kräutermix aus dem Bioladen. Man muss halt dran glauben.
Es scheint, dass der mit Entzauberung durch Wissenschaft und Technologie konfontierte Mensch, sich nach ein bisschen mehr Geheimnis sehnt und somit dankbar jede Form von Zerstreuung und Auslagerung von Träumen und Träumereien annimmt.

„Noch tiefer eintauchen“
Mit Mio Myo zur Filmerstaufführung von „Mein Vogel fliegt schneller“.

Die Nürnberger Band Mio Myo hat bereits zwei Alben veröffentlicht. Die Studioaufnahmen für das Dritte wurden kürzlich abgeschlossen. Am 07. Mai beginnt mit einem Auftritt in Frankfurt am Main eine 3 wöchige Tour für die 4 Mio Myos.
Mit dem Bassisten der Band habe ich mich zur Filmpremiere von „Mein Vogel fliegt schneller“ von Gülseli Baur getroffen, um mich im Anschluss mit ihm und Sänger Uwe Eger über Magie, Musik und ihre neue Platte zu unterhalten.

Junge Menschen, die ihren Traum leben, ein Paar auf einem Hausboot an der Spree, AkrobatInnen in einer Dreierbeziehung in einem Wohnwagen, ein schwules Paar in einer Wohngemeinschaft mit einer Freundin, Musiker aus Leidenschaft, Liebende. Selbst gewählte, teilweise non konforme Lebenweisen, die vordergründig wie freie Entscheidungen und erfrischend alternative Lebenskonzepte wirken.

Das ist die Oberfläche. Im Inneren der ProtagonistInnen sieht es anders aus; es wird Zeit, dass ein frischer Wind weht.


Thomas, leider hast nur du es zeitlich geschafft zur Filmpremiere zu kommen. Wie hat dir der Fllm gefallen?
Thomas: Ich fand erstmal beeindruckend, was da mit quasi keinem Budget enstand. Wahnsinn! Außerdem hatte der Film sehr schöne Bilder.

Der Film war also schön?
Thomas: Während des Films ertappte ich mich wiederholt dabei, die verschiedenen Beziehungssituationen und Emotionen auf mich zu beziehen und Parallelen zu mir und meinem Leben zu finden. Der Film schafft es tatsächlich dich in seinen Bann zu ziehen - mit den Personen zu fühlen und zu denken.

Einer eurer Songs wird im Soundtrack verwendet und zieht sich teilweise wie ein Leitthema durch den Film. Wie kam es dazu dass diese Songfragmente verwendet wurden?
Thomas: Der Musikverantworliche Johannes Stankowski ist mit unserem ehemaligen Omnichordspieler Benjamin Pollach befreundet. Er fragte, ob er unsere Musik für den Film verwenden dürfte. Er hat sich für den Track „Taxi“ aus unserem zweiten Album „Ghost Fades“ entschieden.
Uwe: - An dem Benni und die Cellistin Bianca Riesner maßgeblich beteiligt waren.

War der Song eine gute Wahl?
Thomas: Auch wenn die Lyrics nicht zu hören sind, ja. Ich finde, es gibt sogar eine Art Synergieeffekt. Song und Film funktionieren sehr gut miteinander. Es soll ja auch ein Video aus Filmschnipseln zu diesem Song enstehen.

Der Film beschäftigt sich ja vordergründig mit der Frage was größer ist: Freiheit oder Liebe? Was meint ihr?
Thomas: Das ist eine sehr persönliche Frage; ich würde sagen, das Eine schließt das Andere ja nicht zwangsläufig aus. Ich glaube im Gegenteil daran, dass eine gute Beziehung sehr bereichernd sein kann.
Uwe: ... schwierige Gegenüberstellung. Beides sollte gelebt werden, wenn es passiert. Sobald man frei ist sucht man nach der großen und so wahren, tiefen Liebe. 
Sobald diese gefunden scheint und man anfängt Liebe zu leben stellen sich auch sehr erdige und weltliche Zustände ein, die gar nicht zur Vision passen wollen. Wenn ich aber gefunden habe, was ich so lange gesucht habe, bin ich in dieser Hinsicht schon im Ziel. Das wiederum gibt mir die große Freiheit das zu tun, was nach dem Happy End anfängt. Ich würde sagen: wirkliche Freiheit kommt durch Liebe.

Ihr nehmt gerade euer drittes Album auf. Setzt ihr euch darin auch mit ähnlichen Fragen auseinander?
Thomas: Naja, eher abstrahiert. Es geht natürlich auch um Liebe, aber eher metaphorisch. Es sind sehr bildliche Texte, die jeder Person einen Interpretationsspielraum lassen. Bei Unicorns, einem Song aus dem letzen Album, heißt es, zum Beispiel, „We are all unicorns“ - meint eigentlich nichts anderes als: Wir sind alle Individuen.
Uwe: Der Song ist vor allem gegen Überwachung - wie absurd es ist, ein Individuum mit Kameras etc. zu überwachen. Ich finde, es sollte der nötige Abstand und Respekt gewahrt werden, was in unserer Gesellschaft leider immer weniger möglich ist.

Gibt es ein überhaupt ein Thema für euer neues Album?
Uwe: Es gab neulich die Überlegung das Album "HYPER ROMANTIC LOVERS DATING IN HYPER REALITY" zu nennen. Dabei geht es insgesamt um ein tieferes Eintauchen; eine Fülle und Tiefe, die sich zuerst nicht begreifen, jedoch durch aktives Aufbrechen erfahren lässt. Und es geht um die Zuversicht auf diesem Weg alles Notwendige getan zu haben.

Das klingt wie eine abstrahierte Beschreibung des Films. Er hätte dir sicher gefallen. Auch stilistisch sehe ich Parallelen zwischen dem Film und eurer Musik, deine Texte, die Atmosphäre und nicht zuletzt dein Artwork.... Ich würde beides Film und Musik im Magischen Realismus verorten.
Uwe: Der Magische Realismus holt den Zauber ins Hier und Jetzt. Oder besser er akzeptiert den Zauber im Hier und Jetzt. Man muss sich nicht aufmachen in eine andere Welt. Insofern ein treffender Vergleich.

Welche Möglichkeiten bietet eine solche Herangehensweise? Bezeichnet ihr deshalb eure Musik auch als Ghost Rock?
Uwe: Was ist Realität? Was ist Magie? Wenn aus einem Orgasmus ein Kind entsteht - Wenn eine Fledermaus ihre Beute dank Echoortung ausmacht ? Das ist für mich Zauber. All das ist auf dieser Welt genauso möglich wie Einhörner, Out-of-Body Experiences und musizierende Geister. Alles ist möglich.

Wie wichtig ist der Band diese magische Realität?
Uwe: Auf jeden Fall ist diese Realität spannend genug für ein weiteres Album. Dafür scheint sie wie gemacht zu sein.

Wie würdest du das neue Album in wenigen Worten charakterisieren?
Uwe: Ich versuche es mal so: Afro-Disco-Indie-Electro-Dub-Pop mit Aufbruchstimmung und Kopfnotiz…

Was ist neu oder anders im Unterschied zu den beiden Vorgängern?
Uwe: Wir sind mehr Band geworden. Die Zeit hat gezeigt, dass wir in dieser Besetzung mehr Musiker sind. Wir haben das, was Musik ist, ein Stück weit mehr zu Unserem gemacht. Wir sind jetzt ein australischer Programmierer-Nerd an den Keys und am Synth. ein halb-ägyptischer Amerikanistik Dozent an den Drums, ein hypochondrischer Maschinenkonstrukteur am Bass und ein hysterischer Designer mit Stimme, an Computer und Gitarre.
Thomas: Neu sind auch die Trompeten und ein lustiger Kaossilator von Korg.

Und wie kann man sich nun das Entstehen eines Songs bei euch vorstellen?
Thomas: Das ist ganz unterschiedlich. Meistens gibt es eine grobe Idee, das kann eine Melodie sein, die es als Fragment bereits gibt oder ein Beat, den Fatim vor sich hin trommelt. Meistens bringt Uwe jedoch einen Text und mit dem arbeiten wir dann. Uns ist es wichtig, dass der Text etwas aussagt - sobald wir wissen, wohin der Text möchte, macht die Arbeit Sinn und Spaß. Ansonsten jamt man nur schwammig vor sich hin.

Uwe, bei euren Live Auftritten trägst du manchmal eine rote Maske. Was bedeutet das für dich?
Uwe: Eine Maske ist in diesem Moment auf der Bühne wie eine Zeremonie. - Ein weiteres Stück rein.

Gibt es einen Zusammenhang mit der Musik, deiner Stimmung?
Uwe: Mit Maske kann ich noch mehr zurücklassen, noch tiefer eintauchen.

Mio Myo:

Uwe Eger: Gesang , Gitarre, Computer
Thomas Autenrieth: Bass, Gesang
Anand Sivamalai : Keyboard, Synthesizer
Fatim Boutros: Drums
Bianca Riesner: Cello in „Taxi“
Benjamin Pollach: Omnichord in „Taxi“


Anstehende Konzerte:

11er Club, Frankfurt, Do, 06 Mai
Mao, SHANGHAI, So, 09 Mai
Music Life Club, Guilin, Di, 11 Mai
Music Life Club, Guilin, Mi, 12 Mai
Vox, Wuhan, Do, 13 Mai
Livehouse, GUANGZHOU, Fr, 14 Mai
Hidden Agenda Live House, Hong Kong, Sa, 15 Mai
LX Creation, MACAO, So, 16 Mai
Idutang, Shenzhen, Mi, 19 Mai
D22, Beijing, Do, 20 Mai
Mao, Beijing, Sa, 22 Mai
Atomic Cafe, München, Fr, 28 Mai
Club Stereo, Nürnberg, Do, 03 Juni

Mio Myo: www.myspace.com/miscymusic
Mein Vogel fliegt schneller: www.credofilm.de/filme/mein_vogel_fliegt_schneller.html