Balkanbeats und Russendisko gehören zu Berlin wie der Fernsehturm oder die Museumsinsel. Sie sind aus der Stadt nicht mehr wegzudenken. Was klein in Berliner Untergrundclubs angefangen hat, ist inzwischen zu einer riesigen Partyszene angewachsen. Bei dieser Musik handelt es sich um die Musik des Ostens, des Balkans. Wobei schon der Begriff „Balkan“ umstritten ist. Seit Jahrhunderten ist unklar, welche Länder überhaupt dazugehören. Auch musikalisch ist das nicht anders. Auf den Balkanbeats-CDs von DJ Robert Soko kommen nicht immer alle Bands aus dem sogenannten Balkan. Einige Bands sind sogar geografisch sehr weit davon entfernt. Aber ihre Musik klingt so wie wir uns die Musik aus dem Balkan vorstellen: Folkloristisch, manchmal mit einem Blasorchester und in Sprachen, die kaum ein Deutscher versteht.
Die Berliner Szene-Bands
Im Jahre 2000 kam ein Buch auf den Markt, das auf amüsante Art und Weise das Leben der Immigranten in Berlin beschreibt. Das ist nicht immer leicht. Deutsch ist eine schwere Sprache, die Kultur ist anders und einigen Osteuropäischen Einwanderern fehlt einfach etwas ganz essentielles – die heimatliche Musik. Und genau die exportieren der Russe Wladimer Kaminer und sein ukrainischer Freund und Kollege Yuriy Gurzhy nach Berlin. Das von Wladimir Kaminer geschriebene Buch „Russendisko“ erhielt den Namen von der seit 1999 zweimal monatlich im Kaffee Burger stattfindenden Party. Schnell wurde aus dem Exportgeschäft russischer Musik ein Renner und bis heute ist die Russendisko nicht aus Berlin wegzudenken.
Schon neun Jahre vorher fing der aus Bosnien stammende Robert Soko an, in Berlin seine Musik aufzulegen. Anfangs war es noch Jugoslawischer Rock´n´Roll, Punk und Ska. Später entdeckte er die Musik aus Filmen des serbischen Regisseurs Emir Kusturica. Er ließ sich von der Musik der Roma-Brass-Bands, was nichts anderes als Blech-Blasorchester sind, dieser Filme beeindrucken. Und schon bald wurde er der Pionier, der anfing die Volks- und Roma-Musik des Balkans mit anderen Stilen wie Ska, Klezmer, Jazz und Elektro zu verbinden. So entstand aus der klassischen Balkan-Blasorchester-Musik eine neue, spannende Mischung aus Tradition und Moderne.
Schnell stiegen die kleinen Partys der kreuzberger Untergrundszene auf und nahmen immer größere Ausmaße an. Lange fanden sie im Mudd-Club statt, bis sie ihr neues zu Hause im Lido, in Berlin Kreuzberg fanden. Inzwischen gibt es eine gute Ansammlung von CD´s mit Robert Sokos besten Mixen des Balkanbeats. Da viele Leute immigrieren, wird auch die Palette auf diesen CDs immer größer. Es gibt nicht mehr nur Bands aus dem sogenannten Balkan, sondern auch welche aus den USA oder Belgien auf diesen Platten.
So entstand nach und nach eine nicht zu verachtende Musikszene von osteuropäischen Immigranten in der deutschen Hauptstadt. Die Liste, der Bands, deren Mitglieder größtenteils aus dem Osten kommen wächst stetig an. Neben den Berliner Erfindungen Russendisko und Balkan Beats zählen noch die Berliner Bands Miss Platnum und RotFront zu den bekannteren aus dieser Szene. Was verbindet sie? All diese Menschen sind Emigranten und haben ihre neue Heimat in Berlin gefunden. Einige, wie Miss Platnum, räumen mit den Vorurteilen des Ostens auf, andere wie Russendisko exportieren die Musik aus ihren Heimatländern und nehmen sie neu auf oder wieder andere, wie RotFront singen einfach über ihr Leben als Immigranten in Berlin.
Was haben die Bands gemeinsam? - Sie sind Emigranten
In den 90er Jahren brachen verschiedene Kriege in der Balkanregion aus. Krieg ist mit einer der Hauptgründe, dass viele Menschen diese Region verließen und nach Westen zogen. In Städten wie z.B. Berlin begegneten sich dann die verschiedenen Flüchtlinge, suchten in den Berliner Clubs die Musik, die sie aus ihrer Heimat kannten oder spielten sie einfach selber.
So wächst und gedeiht die Musik Osteuropas prächtig in Berlin. Die Musiker sind keine Berliner, prägen aber die Berliner Musikszene. Etwas, das sehr typisch für die deutsche Hauptstadt ist. Es gibt viele Menschen, die in Berlin wohnen und keine Berliner sind. Sie machen die Stadt aber zu dem, was es ist: multikulturell, offen und lebendig. „Wir sind Immigranten und sehen die Welt mit den Augen der Immigranten. Wir sind Insider und Outsider gleichzeitig.“, sagt Yuriy Gurzhy, Gitarrist und Sänger der Band RotFront.
Ruth Maria Renner alias Miss Platnum, Yuriy Gurzhy, Simon Wahorn, Robert Soko, all diese Musiker sind aus den verschiedensten Gründen nach Berlin gekommen. Manchmal sind das ganz „banale“ Gründe, wie eine Heirat, manchmal sind es die besseren Lebensumständen die sie und ihre Familie nach Berlin zog. Aber sie sind geblieben, weil ihnen das Leben in der bunten Hauptstadt gefällt.
Viele Berliner Musiker kennen sich untereinander und besuchen sich gegenseitig auf ihren Konzerten. Manchmal fällt ihnen dabei auf, dass es ganz viele Gemeinsamkeiten ihrer Musik gibt, obwohl sie aus unterschiedlichen Ländern kommen. „Wir stellen immer wieder fest,“ sagt Yuriy Gurzhy, „wenn wir uns was gegenseitig vorspielen, dass da wo einer denkt, das komme aus seinem Land, sagt ein anderer, dass habe er auch schon mal gehört und es gibt eine Aufnahme, die ist noch älter als die andere, etc“. Das, was die osteuropäischen Musiker noch verbindet, ist die Kultur und die Geschichte ihrer Länder. In den Ex-jugoslawischen Ländern (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzogowina, Jugoslawien, Montenegro, Kosovo und Mazedonien) sind die Sprachen, die Kultur und die Geschichte zum größten Teil ähnlich und auch das prägt, schweißt zusammen und findet sich in ihrer Musik wieder.
Simon Wahorn, ebenfalls Mitglied der Band RotFront sieht sogar ein neues Volk entstehen, das Volk der Immigranten: „In Europa verschwinden immer mehr die Grenzen, man reist immer günstiger und schneller. Die Immigranten, die bereit sind ihr Land zu verlassen und eine neue Sprache und Kultur kennenlernen, werden ähnlich, egal woher sie kommen. Und das ist wie ein neues Volk.“ So wie in Europa die Grenzen verschwinden und der Kulturaustausch immer größer wird, so weichen auch die Grenzen in den musikalischen Genres auf.
Der Klang der Volksmusik in Südosteuropa
Volksmusik gibt es in Hülle und Fülle. Sie wird meist durch Mundpropaganda übertragen und deswegen verändert sie sich auch sehr schnell. In den Ländern Südosteuropas erklingt die Musik nie allein, sondern sie ist immer mit dem Tanz verbunden. Die Volksmusik dieser Länder lässt sich schwer zusammenfassen, da die Musik sehr unterschiedlich ist. Ein paar Gemeinsamkeiten könnte man z.B. in der Rhythmik und der Melodik finden. So werden oft ungerade, schnelle Rhythmen im z.B. 7/8 , 9/8, 11/8, 13/8 – Takt genutzt und andere Melodie-Skalen, in denen auch Vierteltöne vorkommen. Diese Rhythmen und Melodie-Skalen sind bei uns nicht typisch, weshalb uns die Musik neu und interessant erscheint.
In all den „Balkan-Ländern“ gibt es die verschiedensten Instrumente von Flöte über Dudelsack bis zu Blasorchestern. Besonders die letzteren tauchen oft in der Musik der neuen Balkanwelle auf.
Eine weitere typische Art der südosteuropäischen Volksmusik sind die Volksgesänge. Von Bulgarien bis Slowenien sind sie sich sehr ähnlich. Sie werden mehrstimmig gesungen, wobei es von Ort zu Ort unterschiedliche Stilarten gibt. In Westserbien z.B. wird in Sekundabständen, in Zentralserbien häufig in Terz- oder Quint-Abständen gesungen. In Rumänien, ein Land das eigentlich nicht zum Balkan gehört, ist das auch so. Da stehen drei Frauen in einem Dreieck zueinander. Zwei Frauen stehen sich gegenüber und singen im Sekundabstand, während die Dritte, die den anderen Beiden gegenübersteht sogenannte „Jauchzer“ von sich gibt. Auch in Russland und der Ukraine gehören Frauenchöre zur typischen Volksmusik. Und ebenfalls der jüdische Klezmer-Sound ist in den Regionen des Balkans und in Russland zu finden.
So haben die Länder Osteuropas musikalische Schnittpunkte, sind aber doch sehr unterschiedlich.
Wenn man genau den Balkanbeats CD´s von Robert Soko oder der Musik Miss Platnums zuhört, findet man die ein oder andere musikalische Gemeinsamkeit mit der Volksmusik aus Südosteuropa.
Es entsteht eine Musik, folkloristisch gepaart mit der Moderne
All die in diesem Artikel genannten Künstler sind in den Plattenläden u.a. unter der Rubrik „Weltmusik“ zu finden. Wobei die verschiedenen Bands gerne ihr eigenes Genre eröffnen würden.
Auch in der Schublade der Balkanbeatwelle möchten sich nicht alle Bands wiederfinden. RotFront möchte sich sogar eher davon distanzieren. „Da wo es tausende Bands gibt, die sich gerne dazuzählen, sagen wir, wir sind keine Balkanbeats, keine Russendisko, sondern wir sind das „Emigrantski Raggamuffin-Kollektiv“ (Yuriy Gurzhy). Mit diesem Titel ihres ersten Albums eröffnet die Band gleich ihre eigene Sparte. „Emigrantski“, dass ist russisch und bedeutet „von Emigranten“ und „Raggamuffin“ ist eine dem Rap ähnliche Spielart des Reggae, die jedoch nicht wirklich in der Musik der Berliner Band auftaucht. „Es kommt wahrscheinlich auch u.a bei uns vor, aber es ging uns eigentlich eher darum, eine eigene Sparte zu schaffen. Diese bekloppte Strategie Musik zu benennen, damit man sie besser verkaufen kann. Es war unsere Ironie. Wir dachten, wir wollen irgendwie unser eigenes Label, unsere eigene Beschriftung haben“, sagt Gurzy.
Anders ist es bei Miss Platnum. Sie beschreibt ihre eigene Musik als Mischung aus folkloristischer Balkanmusik und modernem R’n’B und HipHop. Für ihre neue CD „The Sweetest Hangover“ fuhr sie bis nach Belgrad, um ihrer Musik den „Balkantouch“ des Boban i Marko Markovic Orkestar´s zu verleihen.
Die Musik, die wir bei all diesen Bands finden ist folkloristisch gepaart mit der Moderne. Vielleicht hängt das mit der heutigen Technik zusammen. Yuriy Gurzhy sieht das folgendermaßen: „Man war arm und man hatte kaum Möglichkeit eine gute Technik zu kaufen, deswegen klang das auch alles so scheiße, egal, ob ein Musiker gut oder schlecht war. Und jetzt, wo die Welt ein bisschen offener geworden ist, man bekommt richtige Instrumente, lernt mit Computer umzugehen und die Sachen aufzunehmen, klingt das alles auch besser.“
Modern wirkt diese Musik, neben der besseren Technik auch dadurch, dass sich die verschiedensten Stile mixen. Bei den meisten Bands werden die volksliedhaften Melodien mit Ska, Hip-Hop, Reggae oder Elektro gemischt. Das macht die Musik dem „westlichen“ Publikum auch zugänglicher und könnte mitunter die Geheimzutat des Erfolgsrezeptes „Osteuropäischer Musik“ sein.
Einflüsse anderer Musiker aus Osteuropa
Auch die Filme Kusturica´s sind dafür verantwortlich, dass die Musik des Balkans gut im „Westen“ ankommt. Mit Filmen wie „Underground“ (1995) oder „Time of the Gypsies“ (1989) zeigt der serbische Filmemacher die geschichtlichen Geschehnisse seiner Heimat mit Ernst und Humor zugleich. Untermalt sind diese Filme mit - wie kann es anders sein – Musik vom Balkan. Viele Soundtracks entstammen der Feder eines berühmtesten Komponisten dieser Region: Goran Bregović. Wie Kusturica ist auch er in Sarajevo (Bosnien-Herzogowina) geboren. Die beiden kennen sich schon seit ihrer Jugendzeit. Mit seiner Arbeit zum Kusturica-Film „Time of the Gypsies“ zeigt Bregović die Wiederkehr zu seinen Wurzeln, was auch schnell zu seinem öffentlichen Image wird. Auch seine Musik ist geprägt vom Mix der Moderne und Folklore. Er selber beschreibt sie als „zeitgenössische Musik beeinflusst von traditioneller Musik“. Er arbeitet zusammen mit dem US-amerikanischen Punkrocker Iggy Pop, der berühmtesten Sängerin aus Kap Verde Cesaria Evora und den israelischen Pionieren des Ethno-Technos Ofra Haza. Auch andere Künstler aus Osteuropa arbeiten mit Bregović zusammen. Auf dem Soundtrack zu „Underground“ finden sich mitunter Boban Markovic, dessen Blasorchester ebenfalls mit Miss Platnum zusammenarbeitet und auch auf verschiedenen Balkanbeats CD´s von Robert Soko zu finden ist.
Musik mit politischer Aussage, ohne ein Wort von Politik
Junge osteuropäische Musiker, nicht nur aus dem Balkan, besinnen sich ihrer Wurzeln und machen Musik, die einen neuen Klang erhält. Die Musik von Robert Soko, Russendisko, RotFront, Miss Platnum und vielen weiteren Berliner Immigranten zeigt, wie Musik politisch werden kann, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Nur die bloße Anwesenheit vieler internationaler Musiker auf einmal, die eine neue Musik kreieren reicht, um eine deutliche politische Aussage zu hinterlassen: Das Zusammenleben der Völker kann sehr gut funktionieren. Und das beweisen immer wieder Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen auf den Tanzflächen der Welt, die zu dieser Musik ihre Hüften schwingen und den Tanzboden zum Beben bringen.
Yuriy Gurzhy ist einfach genial!
AntwortenLöschenWer ihn live erleben will, sollte am Freitag, 21. Januar 2011, ab 23 Uhr auf die frivole fröhliche internationale subculturo Party in die Werkstatt in Köln-Ehrenfeld kommen.
Floor 1: Ska, Balkan Sounds, World Music, Electro Styles mit
# DJ Yuryi Gurzhy (Revolution Disco / Rotfront / Russendisko)
# Roter Stern Nastrovje DJ-Team
Floor 2: Reggae, Dancehall, Hip-Hop mit
# Bun Babylon Soundsystem (Reggae/Dancehall)
# DJ Bobby Marlone
Eintritt: 7 Euro
Infos: http://subculturo.de/subculturo-dj-yuriy-gurzhy-russendisco-rotfront.php
Gästelistenplätze gibt’s zu gewinnen unter http://www.einklang-koeln.de/gaesteliste-party-subculturo.php